Das Wunder

Mit Hilfe des Vereins „Österreich findet euch“ gelang die Identifizierung einer seit 31 Jahren unbekannten weiblichen Leiche.

Am 4. September 1990 wurde in Portbou/Spanien, eine Stadt an der Grenze zwischen Katalonien und Frankreich, eine unbekannte weibliche Leiche erhängt an einem Baum aufgefunden.

Der Baum, an dem das Mädchen erhängt aufgefunden wurde, war eine Kiefer. Sie war die größte Kiefer unter all den anderen, die auf einem Hügel standen.

Von dem Hügel aus, auf dem sich auch der Friedhof befand, hatte man einen wunderbaren Blick auf die Stadt Portbou.
Links im Blickfeld befand sich die Stadt mit ihrer Kirche und ihrem Bahnhof, rechts das weite Meer.

Etwa 50 m vom Auffindungsort entfernt campierten 6 österreichische Staatsangehörige (5 Männer und 1 Frau im Alter von 18 bis 24 Jahren).

Die Daten dieser Personen wurden von der Polizei aufgenommen. Laut den Österreichern kannten sie das erhängte Mädchen nicht und wurde von ihnen auch nichts Verdächtiges wahrgenommen. Weitere Einvernahmen wurden nicht mehr durchgeführt, weil dem Vernehmen nach von den ermittelnden Beamten niemand Deutsch oder Englisch sprach.

Der Tod der unbekannten Frau wurde vorerst als Selbstmord deklariert.  Von der Leiche wurden lediglich Fingerabdrücke abgenommen. Am 5. Dezember 1990 wurde sie auf dem Friedhof in Figueres als unbekannte Leiche beigesetzt.

Wegen Platzmangels auf dem Friedhof wurde der Leichnam unautorisiert von Friedhofsmitarbeitern im Jahr 2000 in ein Gemeinschaftsgrab umgebettet. Erst 2001 startete die spanische Polizei das Phoenix-Programm (DNA-Analyse), zu spät für den Fall der unbekannten Toten, deren Leichnam im Gemeinschaftsgrab nicht mehr zugeordnet werden konnte.

Der Weg zur Wahrheit

Nie an einen Selbstmord geglaubt und neu aufgerollt wurde der Fall von dem spanischen Journalisten, Filmemacher und Buchautor Carles Porta https://www.ccma.cat/catradio/crims/carles-porta/fitxa/6514/

Der spanische Gerichtsmediziner, Rogelio Lacaci, aber auch der österreichische Gerichtsmediziner Dr. Reiter ziehen aufgrund aktueller Erkenntnisse ebenfalls Fremdverschulden in Betracht.

Auffällig war vor allem die Art und Weise, wie die unbekannte Leiche in der Schlinge hing (Die Leiche wurde regelrecht in den Baum hineingehängt!) und das Faktum, dass die nackten Fußsohlen der Leiche völlig frei von Laufspuren waren, obwohl das Gelände steinig war. Das Mädchen hing etwa 40 cm über dem Boden. Wie hätte es hier ohne Kletterhilfe auf den Baum kommen können?

Zusätzlich wies Dr. Christian Reiter in der Sendung „Ungelöst – Cold Case Austria“, auf Spuren um den Mundbereich der Leiche hin. Diese konnten entweder durch Zuhalten des Mundes, oder durch eine versuche Reanimation entstanden sein.

Unterstützung im gegenständlichen Fall erhielt Carles Porta durch einen pensionierten deutschen Kriminalbeamten und ehemaligen Verbindungsbeamten in Spanien.  Dieser wiederum trat über Empfehlung eines österreichischen Kriminalbeamten erstmals im Februar 2021 an „Österreich findet euch“ heran.

Seither versuchte der Verein mittels seiner Social-Media-Kanäle eine Identifizierung zu erreichen. Auch AMBER Alert Europe  wurde informiert – eine, von der europäischen Kommission und dem europäischen Parlament unterstützte Stiftung, die bei der Rettung vermisster, gefährdeter Kinder hilft, indem sie Strafverfolgungsbehörden mit anderen Polizeiexperten und der Öffentlichkeit in ganz Europa zusammenbringt. AMBER Alert Europe unterstützt auch offiziell the Police Expert Network on Missing Persons (PEN-MP)

Das Wunder

Die Einbindung der Zivilgesellschaft im Wege von Öffentlichkeitsarbeit ist ein Schwerpunkt von „Österreich findet euch“. Daher besteht bereits seit längerer Zeit eine intensive Kommunikation mit den Produzenten von „Ungelöst – Cold Case Austria“, für ATV. So wurde auch dieses Mal um Unterstützung ersucht. 

Der unerwartete und unfassbare Durchbruch gelang nun auch tatsächlich und schlussendlich durch die Sendung „Ungelöst – Cold Case Austria“, ausgestrahlt am 23. April 2022 von ATV.
https://www.atv.at/tv/ungeloest-cold-case-austria/staffel-02/episode-06/staffel-2-folge-6-das-erhaengte-maedchen

Eine, zufällig in Österreich anwesende Urlauberin erkannte das erhängte Mädchen als die damals 19-jährige Südtirolerin Evi Anne R. vermisst seit 3. September 1990 aus Florenz.

Nach der Identifizierung wurde auch ein Artikel der Zeitung ALTO ADIGE bekannt, indem betreffend des Mädchens bereits am 19. Mai 2011 über die Einleitung eines Todeserklärungsverfahrens berichtet wurde.

ALTO ADIGE, 19. Mai 2011 (Übersetzung)

LANA. 21 Jahre nach ihrem Verschwinden wurde ein Antrag gestellt, die damals 19-jährige Evi Anna Rauter für tot zu erklären. Die letzte Nachricht über sie stammt vom 3. September 1990, als sie Florenz verließ, um ihre Schwester zu besuchen, die an der Universität studierte.

Der Antrag auf Einleitung eines Todeserklärungsverfahrens (hier: im Vorfeld  Äußerung einer Todesvermutung, Anm.) wurde vom Bozener Rechtsanwalt Werner Unterhauser beim Zivilgericht eingereicht. In einer öffentlichen Bekanntmachung, die auch in unserer Zeitung erschien, wurde darauf hingewiesen, dass sich jeder, der etwas über das Verschwinden weiß, sich innerhalb von sechs Monaten an das Gericht in Bozen wenden kann.

Die Einleitung eines Todeserklärungsverfahrens ist nicht zwingend vorgeschrieben. Sie kann nach 10 Jahren von der Familie der vermissten Person beantragt werden. Wir haben uns dafür entschieden“, sagt Christine Rauter, „aus rechtlichen Gründen. Wir waren fast gezwungen, diesen Weg zu gehen, nachdem wir mehr als 20 Jahre lang nichts von Evi Anna gehört hatten, obwohl die Ermittler und auch unsere Familie ständig auf der Suche waren.

Niemand von uns kann sich erklären, was Anfang September vor 21 Jahren geschehen sein könnte.  Evi Anna Rauter war 19 Jahre alt. Sie war zu Besuch bei ihrer Schwester Christine in Florenz, die an der Universität studierte. Wir haben zusammen gefrühstückt“, erinnert sich ihre Schwester, „und Evi war ruhig. Nichts Abnormales. Ich wusste, dass sie nach Siena fahren wollte, während ich zur Universität ging.  Sie hatte einen Zettel hinterlassen: „Ich bin nach Siena gefahren, ich komme später wieder“. Um die Mittagszeit war ich über ihre Abwesenheit nicht besorgt. Die ersten Befürchtungen hatte ich am Abend, als Evi nicht zurückkam, und vor allem am nächsten Morgen“. Diese Sorgen teilen auch Hermann und Karolina Rauter, Evis Eltern, die noch in Lana leben.  Evi Rauter hatte gerade die Berufsschule beendet und den Abschluss an der Berufsschule Meran gemacht. Dann beschloss sie, in Bozen zu arbeiten und sollte am 11. September 1990 zur Arbeit erscheinen. Aber zuerst wollte sie ihre Schwester besuchen und einen Ausflug in die Toskana machen.

Und genau zwischen Florenz und Siena verliert sich ihre Spur. Über ihr Verschwinden berichtete auch die Fernsehsendung „Chi l’ha visto?“, in der Evi Rauter, die Florenz mit ihrem Personalausweis, ihrer grünen Bahncard und 60 000 Lire in bar verlassen hatte, ausführlich. Sie trug Jeans, ein grünes T-Shirt, schwarze Sandalen und eine Casio-Uhr.  Einundzwanzig Jahre sind vergangen, und von Evi Rauter fehlt noch immer jede Spur. Ihr Verschwinden ist nach wie vor rätselhaft, sodass die Familie nun die Einleitung eines Todeserklärungsverfahrens beantragt hat.

Conclusio

Nach 31 Jahren konnte einem unbekannten, wahrscheinlich ermordeten Mädchen mit Hilfe der Menschen „da draußen“, der Zivilgesellschaft, wieder ihr Name und damit auch ihre Würde zurückgegeben werden. Es gilt zu hoffen, dass seitens der Behörden in Italien nun die erforderlichen Mordermittlungen aufgenommen werden.

Offensichtlich haben damals die behördlichen Informationsschienen nicht ausgereicht, um ein erfolgreiches Identifizierungsverfahren durchzuführen.

Dies unterstreicht einmal mehr die Philosophie von „Österreich findet euch“:

„Wir sind nicht die Fahnder, wir sind nicht die Polizei, aber wir können unterstützen.“

Krone-Journal-10_2024